Sonntag, 25. März 2018

HOME BEIRUT - das MAXXI Museum in Rom zeigt 36 KünstlerInnen aus Beirut

Home Beirut ist der Titel der Ausstellung im legendären MAXXI Museum, dessen spektakulären Bau die irakische Architektin Zaha Hadid ganz in das römische Viertel Flaminio eingepasst hat. Demgegenüber muss auch die Kunst sich dieser Architektur ganz anpassen.

Laure Ghorayeb / Mazen Kerbaj: "Correspondence", (Ausschnitt)
Laure Ghorayeb / Mazen Kerbaj: "Correspondence", (Ausschnitt)
Mit dem Untertitel Sounding the Neigbors zeigt die Schau bis zum 20. Mai 36 Künstlerinnen aus Beirut, die in fünf Kapitel eingeteilt ist: Sounding the Neighbors, Home for Memory, Home for Everyone?, Home for Remapping und Home for Joy. 
Beirut ist mit seinen schätzungsweise nur  knapp 2 Millionen Menschen keine wirkliche Megacity, aber mit einer enormen geopolitischen Bedeutung in der arabischen Welt beladen und gerne romantisierend als das 'Paris des Nahen Ostens' bezeichnet. Mit Christen, Griechisch-, Syrisch-und Armenisch-Orthodoxen, Sunniten und Schiiten sowie Drusen ist sie die konfessionell vielfältigste arabische Stadt. Sie alle bilden religiöse Gemeinden, die sich teilweise feindselig voneinander abgrenzen bis hin zu Stadtbezirken, die keinerlei Kontakt zu den Nachbarbezirken haben.
Gebeutelt war der Libanon zunächst vom Konflikt zum Nachbarland Syrien, dass das Land als eine zu Syrien gehörende Provinz betrachtete - eine der Kollateralschäden der kolonialen Teilung, bei der Syrien und der Libanon - einst zusammengehörend - in zwei Staaten aufgeteilt wurde. Christen und Muslime bekämpften sich von 1975 bis 1990 zudem in einem 16 Jahre andauernden Bürgerkrieg, bei dem vor allem Beirut als Finanzzentrum Hauptkriegsschauplatz war.

Dazu kam der Angriff Israels von 1982 auf das Land, um den Rückzugsort der PLO zu bekämpfen, die sich daraufhin nach Tunesien zurückzog. 2006 griff Israel den Libanon erneut an, um die Hisbollah zu bekämpfen. Der Krieg dauerte 33 Tage und zerstörte Teile der immer wieder neu aufgebauten Stadt. Er ging mit einer Niederlage Israels aus. Israelische Truppen sind bis heute im Südlibanon stationiert. Neben Jordanien unterhält der Libanon ausserdem die größten Flüchtingslager von Palästinensern, eine ungeliebte Bevölkerungsgruppe, die zusätzlich das soziale und politische Klima stark belastet.
Das soll nur ein kurzes Schlaglicht auf eine Stadt werfen, die unter Beteiligung von den USA, Frankreich und Großbritannien zum zentralen Kriegsschauplatz wurde und von der alle KünstlerInnen der Ausstellung betroffen sind, je nach Jahrgang auch als direkte Kriegsopfer. Viele ihrer Biografien sind daher von temporärer Migration, hautpsächlich nach Paris und in die USA geprägt. Die meisten von ihnen stellen mehr in Europa und in den USA aus und viele von ihnen leben bereits dauerhaft im Westen.
Marwan Rechmaoui: "Pillar - Duchamp's Bride"
Neben den üblichen Merkmalen für Metropole überall auf der Welt -  hohe Migration, riesige Planungsvorhaben mit teils gescheiterten Großbaustellen, suburbanen Wohnsilos, sozialen Verwerfungen und Zentrum von Landflucht - ist Beirut also ein absoluter Sonderfall.
Mit Sounding the Neighbors beginnt die Ausstellung und zeigt Musikbeispiele von Popsongs, die man über Kopfhörer hören kann und Videoaufnahmen von musizierenden Menschen aus Beirut. Dazugehörig sind auch eine Reihe von comicartigen kleinformatigen Zeichnungen von Tamara Al- Samarraei, einer Künstlerin aus Kuwait, die in Beirut lebt. Sie hält die Posen von Kindern fest, wenn sie mit Tieren konfrontiert sind. So heißt auch ihre Arbeit "Confrontation". Dieser Einstieg ins Thema ist angesichts der Geschichte Beiruts erst einmal verwunderlich und dann doch nachvollziehbar: Beirut und ihre Bewohner möchten ein ganz normales Leben führen mit den üblichen urbanen Merkmalen von Pop, Streetart, Selfies und eben Kindern, die Tiere nachmachen.

Tamara Al- Samarraei "Confrontation"
Auch der lange Wandfries des ungewöhnlichen Künstlerduos von Mutter und Sohn -  Laure Ghorayeb und Mazen Kerbaj - gehört zu diesem Themenkomplex und zeigt eine raue Streetart-Atmosphäre, spontanen Gestus bei einem Künstleraustausch und einen beeindruckenden, aber für den westlichen Kunstbetrachter wenig nachvollziehbaren Rausch an Zeichen und Bildern - eher eine gefühlte Einsicht zur Stadt Beirut (Abb.s.o.)  In diesem 'gefühlten' Zugang bleibt man über weite Strecken in der Ausstellung stecken. Einiges erhellt sich durch die Erklärungen neben den Kunstwerken, die unbedingt notwendig sind, um das Werk zu verstehen. So zum Beispiel  bei der ansonsten technisch wenig brillianten Fotoserie  "The flower Vendors of Beirut", bei der Angestellte vom syrischen Geheimdienst under cover als Spitzel eingesetzt wurden.

"The flower Vendors of Beirut"

Richtigehend 'pissed off' zeigt sich die Künstlerin Shirin Abu Shaqra vom Zwang, als Künstlerin aus Beirut das Trauma von Krieg und Terror zu thematisieren. Ihr Video zeigt sie selbst, wie sie unruhig im Atelier hin und herläuft und nichts zum Krieg zu sagen weiß.

Ausschnitt aus dem Video von Shirin Abu Shaqra
Fulminant thematisiert Roy Dib die Vermengung von privat und politisch. Er ist einer der wenigen Künstler, der auch heute weiterhin in Beirut lebt und arbeitet. Sein brillianter Film "A Spectacle of Privacy" entspannt einen rasanten Dialog, der zwischen zwei Liebenden nach dem Sex stattfindet. Die Frauenstimme fragt ihren Partner, warum sie nach anderthalb Jahren immer noch Kondome benutzten, wo man doch bereits von einer Beziehung sprechen könnte. Mit jeder weiteren Frage legt der Dialog Stück für Stück dar, dass der andere, der sich als israelischer Soldat herausstellt, sich eben nicht zu sehr einlassen, vielmehr immer eine Grenze zwischen sich und seinem Liebhaber ziehen möchte. Die Frauenstimme - wie sich später im Laufe des Films zeigt - steht für einen anderen Mann,  offensichtlich palästinensischer Herkunft. Damit entsteht hier ein doppelter Tabubruch: Homosexuelle Liebe und eine Liebe zwischen einem Palästinenser mit einem im Libanon stationierten israelischen Soldaten. Auch in der israelischen Armee dürfte Homosexualität vermutlich ebenso diskreditiert sein wie für den Palästinenser, erst recht wenn man dazu noch mit dem Feind im Bett liegt.

Roy Dib: "A Spectacle of Privacy"
Wie Israel eine Mauer zwischen sich und ihren palästinensischen Nachbarn zieht und nichts mit dem anderen zu tun haben möchte - so der Vergleich, den die Frauenstimme zieht - genauso verhält sich auch der israelische Liebhaber gegenüber seinem Geliebten. Wäre ein freier Zugang zwischen Palästinensern und Israelis möglich, würden zweifelsohne auch Liebebeziehungen, gemischte Familien und schließlich ein gemeinsames Volk entstehen. Auch der Liebhaber - so der Vergleich, den die Stimme aus dem Off in aller Ruhe und unbeirrt von den ironischen Antworten des anderen herleitet - möchte keine Beziehung, keine Vermengung mit einem Palästinenser und verhält sich so im Bett wie sein Land Israel gegenüber den besetzten Gebieten. Mitten im Intimsten zeigt der Film von Roy Dib die tiefen Spuren von Konflikten auf und durch die lakonisch-genervten Antworten auf diesen Stunt vom Politischen im Privaten entsteht dabei auch noch viel Humor.
Mit diesem meiner Meinung nach besten aller Beiträge möchte ich die Ausstellung verlassen - um einige Eindrücke reicher und mit dem Gefühl, jetzt überhaupt nicht mehr durchzublicken, aber immerhin mit dem Wissen darum.
Zum Abschluss noch ein Film über Marwan Rechmaoui, der seine Kunst ganz den urbanen Phänomenen Beiruts gewidmet hat und hier seine Arbeitsweise erklärt, bei der man gleichzeitig noch einiges von der Stadt selbst sieht:


Alle Fotos aus der Ausstellung von Ina Zeuch

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