Montag, 20. November 2017

"Drawing the Qafr Kasem Massaker" von Samia Halaby

Auf der Shortlist der Palestinian Book Award 2017 ist neben acht weiteren Autoren die in den USA lebende Palästinenserin Samia Halaby mit ihrem Buch "Drawing the Kafr Qasem Massacre". Der Palestinian Book Award wurde 2012 gegründet, um jährliche Neuerscheinungen englischsprachiger Bücher über Palästina zu prämieren.
Samia Halaby hat als bildende Künstlerin nach Erzählungen von Zeugen das wenig bekannte Massaker von 1956 an Palästinensern in Kafr Qasem, einem kleinen Grenzort zum Sinai, buchstäblich aufgezeichnet. Entstanden ist ein Zyklus von Zeichnungen, der im Museum der Birzeit University in Ramallah von Februar bis Mai 2017 ausgestellt wurde und nun als Buch vorliegt.

Samia Halaby: "Killing in the Northern Fields, the Massacre of 1956 Series", Kreide auf Papier, 2012
Das Kafr Qasem Massaker war eine Folge von zwei zuvor stattfindenden Massakern, bei denen 400 Palästinenser auf dem Weg zum Grenzübergang Rafah ermordet wurden, wo sie nach Ägypten einreisen wollten. In Rafah und im nahe gelegenen Dorf Khan Younis gerieten sie in die Sinai-Offensive der israelischen Armee. Die 400 Toten - laut der israelischen Version 275 Tote - gehen auf eine konzertierte militärische Aktion zwischen Frankreich, Großbritannien und Israel zurück. Nach der Ankündigung des ägyptischen Präsidenten Gamal Abdal Nasser, den Suezkanal verstaatlichen zu wollen, begannen sie mit Bombardements auf den Sinai, dem Grenzort Rafah und  auf ägyptische Flughäfen - bekannt als Suez-Krise. Laut der israelischen Version gab es dabei am Rande Auseinandersetzungen mit lokalen bewaffneten Gruppen arabischer Israelis in Khan Younis und Rafah, die bei brutalen Hausdurchsuchungen nach den Aufständischen weitere 111 Opfer forderten. Sie veranlasste die israelische Militärführung auch dazu, über acht Dörfer, u.a. in Kafr Qasem eine Ausgangsperre, zu verhängen.

Samia Halaby:"The Martyrdom of Mahmoud Rayyan - Fifth Wave of Killings"
the Kafr Qasem Massacre of 1956 series, Buntstift auf Papier, 2012
Diese war nur eine halbe Stunde vorher angekündigt worden, von der die heimkehrenden Bauern nichts wussten. Entsprechend hinterrücks wurden sie von der Anwesenheit der Soldaten überrascht, bei der 48 arabische Israelis und 23 Kinder ermordet wurden. Laut Halaby war die Ausgangssperre nur eine fadenscheinige Begründung für das "Eingreifen" der israelischen Armee. Schimon Peres hat sich 2007 für dieses Verbrechen entschuldigt. Der israelische Staatspräsident Reuven Rivlin nahm am 26. Oktober 2014 sogar an einer Gedenkzeremonie für die Opfer des Massakers teil. Eine solche Anerkennung israelischer Verbrechen ist in der gegenwärtigen Politik Israels eher selten. Bitter ist dagegen, dass zwar acht der Täter zunächst für 17 Jahre Gefängnis verurteilt wurden, diese Strafe aber immer wieder reduziert und schließlich bis auf ein Jahr Haft schließlich ganz ausgesetzt wurde. Das erinnert an die Verurteilung des Sanitätssoldaten Elor Azaria vom Januar 2017, der einen bereits wehrlosen palästinensischen Terroristen erschoss und dafür milde 18 Monate Haft bekam, die bereits kurz nach dem Urteil auf 4 Monate gekürzt wurde.

Samia Halaby: "Youssef and Mahmoud Sarsour - Fourth Wave of Killing",
the Kafr Qasem Massacre of 1956 series, Bleistift auf Papier,  2012
Die beiden Massaker von Kahn Younis und Rafah finden dagegen keine besondere Erwähnung. Sie sind einfach ein Teil des Terminus 'Sinai Offensive'. Alle Opfer waren sogenannte arabische Israelis. Sie gehörten nicht zu den Vertriebenen von 1948, bei der die Länder Ägypten, Jordanien, Syrien, Libanon und Irak einen gemeinsamen Krieg gegen die Staatsgründung Israels verloren hatten und  etwa 700.000 Palästinenser in die damals noch nicht besetzte Westbank geflohen waren, bekannt als Naqba*(arabisch: Katastrophe). Der Augenzeuge und israelische Soldat der ersten Stunde Uri Averny schreibt zu diesen Vertreibungen:
"The decisive moment came at the end of the war, when it was decided not to allow the refugees to return to their homes. There was no official decision. The idea did not even come up. Masses of Jewish refugees from Europe, survivors of the Holocaust, flooded the country and filled the places left by the Arabs."
Samia Halaby wurde 1936 noch unter dem Britischen Mandat in Jerusalem geboren. Ihre Familie wurde Teil der palästinensischen Vertreibung nach der Staatsgründung Israels. Sie flohen 1948 zunächst nach  Yaffa, dann in den Libanon und schließlich in die USA. Ihre regelmäßigen Reisen nach Palästina fanden nun ihren Niederschlag in den Aufzeichnungen zum Kafr Qasem Massaker, von ihr als 'documentary drawing' bezeichnet. Neben dem Kafr Qasem Zyklus waren auch ihre ansonsten abstrakten Werke im Birzeit Museum zu sehen.

Samia Halaby: "Mountains between Birzeit and Ramallah", Acryl auf Leinwand, 2016
*der link führt zu der arabischen Version der  Ereignisse  (Anmerkg. der Autorin)

Alle Fotos aus der Ausstellung von Ina Zeuch

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