Freitag, 27. Mai 2016

Als Migrant überleben in Athen: Eine Ausstellung in Marseille

Simon aus Bangladesch wird im Juli 2012 von drei schwarzgekleideten Motorradfahrern mit dem Ausruf "schwarzer Pakistani" krankenhausreif geschlagen. Die Ärzte im Hospital machen nur die Unfallversorgung, alles andere lehnen sie ab, weil er keine Papiere hat. 6 Monate danach trägt er immer noch einen Gipsverband und kann nicht arbeiten. Seitdem hat er Angst, nach draußen zu gehen und bleibt deshalb überwiegend zu Hause. Allenfalls besucht er manchmal ein Restaurant seiner Landsleute in seiner unmittelbaren Nachbarschaft. 
Vidoestill aus "Moughtareb" von Stephanos Mangriotis
Das ist nur eine der Geschichten von Migranten, die als Fotodokumentation im Kino CineMetroArt im Mai in Marseille zu sehen war -  Geschichten, die zu eingeschränkter Bewegungsfreiheit, Jobverlust und öder Langweile führen, weil man nicht dazugehört und nirgendwo wirklich hingehen kann. Sicherheitshalber bleibt man lieber in seinem eigenen Ghetto wie Simon, wo man diejenigen trifft, denen es auch nicht besser geht. 
Vidoestill aus "Moughtareb" von Stephanos Mangriotis
Der griechische Fotograf Stephanos Mangriotis zeigt in seinem Video "Moughtareb" ein Porträt von Mohamed, Mounir und Ibrahim, drei marokkanischen jungen Männern, die in einem ärmlichen Vorort von Athen leben. Moughtareb heißt auf arabisch: celui qui est ici et pense à la-bas (derjenige, der hier ist und an dort denkt). Ahmed, der Vater des einen der drei Migranten, ist seit 15 Jahren Fischverkäufer. Er ist der erste Händler aus Marokko, der es geschafft hat, in Perama, einem solchen Vorort Athens, einen eigenen Fischhandel zu betreiben.

Im Juni 2012 um drei Uhr nachts wird seine Wohnung von zehn schwarzgekleideten Männern der "Goldenen Morgenröte" mit Steinen beworfen. Ein Freund, der auf der Terrasse geschlafen hat, stirbt dabei. Die "Goldene Morgenröte" ruft immer wieder konsequent und erfolgreich zu rassistischen und gewalttätigen Demos auf.  Sie hat bereits offen gemordet und steht deswegen vor Gericht. Viele griechische Polizisten sympathisieren mit der Organsiation. Sie wurde 2015 drittstärkste Partei und hat derzeit 17 Parlamentssitze inne. Ihr Zulauf ist 2016 noch gestiegen.
Foto von Stephanos Mangriotis
Mangriotis hat den Sohn und zwei seiner Freunde nach diesem rassistischen Angriff auf den Vater, der sich wegen der hohen Präsenz der Neonazis dort nicht zum Prozess traut, für einen Monat begleitet. Seine Fotos fokussieren die psychologischen Komponenten von Migration: Verunsicherung und Angst, Antriebslosigkeit, Entwurzelung. Diese Entwurzelung trifft den Sohn und seine beiden Freunde viel tiefer als den Vater.

Denn es war der Entschluss ihrer Väter, zu emigrieren, wovon der eine es durch seine hohe Motivation für einen Neubeginn zum eigenen Fischhandel gebracht hat. Aber gerade die gelungene Integration wird besonders abgestraft, weil diese angeblich den Einheimischen die Arbeit wegnimmt, so die zunehmend erfolgreiche Propaganda von rechts. Der Sohn wie seine Freunde finden sich nun in einem fremden Land wieder, das gerade selbst die größte Krise seiner jüngeren Geschichte durchlebt.
Vidostill aus "Moughtareb" von Stephanos Mangriotis
Die Verarmung und hohe Arbeitslosigkeit der Griechen durch die unerbittliche Austeritätspolitik der EU führt zu einem idealen Nährboden für rassistische Ideologien und Übergriffe. Migranten wie Mohamed, Ibrahim und Mounir sind hier nicht willkommen, ihre Zukunft ist ungewiss und sie erleben eine Gesellschaft, die immer rassistischer wird und in denen die Menschen selber hart ums Überleben kämpfen müssen. Das kennen sie aus ihrem Heimatland, deren Armut und Chancenlosigkeit sie bzw. ihre Eltern ursprünglich entfliehen wollten. 
Flüchtlingslager an der türkisch-griechischen Grenze, Foto von Stephanos Mangriotis
Gezeigt wird außerdem eine weitere Dokuserie von Fotos unter dem Titel "Archéologie d'une Frontière", die Fotos von Flüchtlings-Unterkünften an der türkisch-griechischen Grenze zeigt. Diese wurden zusammen mit der geografischen Recherche von Laurance Pillant möglich und können für alle der erbärmlichen Zwischenlager stehen, an denen Flüchtlinge ausharren, bis sie es schaffen, die Grenze - meist klandestin und illegal - zu überschreiten. Viele werden dort in improvisierten Gefängnissen festgehalten, in alten Fabriken, Lagerhallen oder ehemaligen Polizeirevieren. Ihr Aufenthalt dort dauert zwischen wenigen Tagen bis zu Jahren.
Diese Ausstellung gibt einen intensiven Eindruck davon, wie schwer die Entscheidung sein muss, seine Heimat zu verlassen und in ein Land zu gehen, wo man nicht willkommen ist, auf die Gefahr hin, niemals oder erst nach vielen Jahren dort anzukommen.  
Flüchtlingslager an der türkisch-griechischen Grenze, Foto von Stephanos Mangriotis
Sie ermöglicht es, sich in Menschen hineinzuversetzen, die tief verunsichert sind und die, selbst wenn sie zurückkehrten, keine Heimat mehr vorfinden würden. Die Nostalgie, die sie manchmal noch an ihr früheres Zuhause verspüren, empfinden sie als trügerisch. Die Kontakte haben nicht gehalten, sie haben außerdem nichts zu erzählen als ihr Scheitern. Anspannung bei gleichzeitiger Langeweile, verurteilt zum Nichtstun, das prägt einen Großteil ihres Alltags - eine depressive Mischung.
"Ich bin psychisch erschöpft", Vidostill aus "Moughtareb" von Stephanos Mangriotis

Alle Fotos aus der Ausstellung von Ina Zeuch


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