Sonntag, 19. Oktober 2014

Tingatinga: Kunst aus Ostafrika - eine Ausstellung im Grassi-Museum Leipzig

Vom 18.07. bis 5. 10. 2014 zeigte die ethnologische Abteilung im Grassi-Museum Leipzig kombiniert mit seiner völkerkundlichen Sammlung zeitgenössische Kunst aus Ostafrika der 1950er bis 1970er Jahre unter dem Titel: Schneemann im Quadrat - Zeitgenössische Kunst Ostafrikas & African Tales von Maix Mayer. An der Sammlung dieser Werke lässt sich die große Diskrepanz der Entwicklung zu heutiger zeitgenössischer Kunst aus Afrika ermessen. Deshalb lasse ich den Teil der Ausstellung,  der den "African Tales" des Leipziger Künstlers von Maix Maier gewidmet ist, außen vor. Auch beziehe ich mich hauptsächlich auf die soziale Situation und die damit einhergehenden Produktionsbedingungen der Künstler, die hier als Nachfolger des Malers Tingatinga (1932 - 1972)  aufgeführt werden. Ich beschränke mich hier in meiner Besprechung also - neben den ebenfalls ausgestellten Skulpturen - auf die Werke der Malerei.
George Lilanga: ohne Titel
Um diese Produktionsbedingungen genauer zu beleuchten, wird hier ein Folgeartikel zu Tingatinga und der nach ihm benannten Tinga Tinga Arts Co-operative Society erscheinen.
Die Schau in der ethnologischen Abteilung des Grassi Musums in Leipzig zeigte vor allem Künstler aus Tansania, die hier unter der von Tingagtinga entwickelten  "Quadratmalerei" subsumiert wurden. Diese Bezeichnung geht auf das quadratische Format der Bilder zurück, die bei fast allen Künstlern gleich war und auch ihre Bildmotive und die knallige Farbigkeit waren ähnlich. Dabei  machten sich später eine Reihe von Künstlern frei von diesem Stil, die eine eigene Bildsprache entwickelten - wie George Lilinga. Aber Tatsache ist, dass alle der gezeigten Künstler mit der Quadratmalerei Tingatingas in Berührung kamen oder direkt von dessen Mitstreitern zum Malen inspiriert und angeleitet wurden. Durch diese Praxis des Weitergebens entstand schon vor der offiziellen Malschule Tingatingas eine Art Schule. Im Gegensatz zu Europa und den USA gab es in Afrika kaum Möglichkeiten, Kunst zu studieren.
Peter M. Kawela: "Der Dämon hat das Kind gestohlen"
Die Künstler der Ausstellung sind fast alle in den 30er bis 50er Jahren des letzten Jahrhunderts geboren. Auf der Suche nach Jobs machten sich viele auf den Weg von ihren Dörfern in die Stadt - diese Landflucht hält bis heute an. Der Werdegang von Peter Martin Kawela (1959 - 2005) ist dafür exemplarisch. Er verließ sein Dorf aus dem Nordosten Tansanias und zog 1971 in die nachstgrößere Stadt Tanga, traf dort den Maler Damian B.W. Msagula und ging mit ihm in die Hauptstadt Dar es Salaam. Dort arbeitete er zunächst als Hausangestellter bei dessen Onkel, später bei Msagula selbst. Durch ihn kam er mit den Schülern der Tingagtinga-Schule in Kontakt und begann selbst zu malen. Diese hatten ihren festen Standort am Morogoro-Supermarkt im europäischen Viertel Oysterbay, wo sich ihre Bilder gut an die Residents verkauften. 1980 richtete sich Peter, wie er seine Bilder schlicht unterzeichnete, einen eigenen Arbeits- und Verkaufsplatz im Village Museum von Dar es Salaam ein.
Abdulrahman Hassan Kamale (Hassani): ohne Titel
Der zuerst aus Not und Materialmangel entstandene Stil - Hartfaserplatten als Restposten von Inneneinrichtungen europäischer Wohnungen, die meist auf 60 x 60 cm zugeschnitten waren und  Fahrradlacke als Farben -  wurde zum Markenzeichen. Für die Beliebtheit, die die Nachfrage ausmachten, gab es viele Gründe: die Dorfszenen und Tierbilder bestätigten das postkoloniale Bild von Afrika und durch ihre Ärmlichkeit wirkten die Bilder zudem authentisch, gleichzeitig aber harmlos ohne erkennbare Sozialkritik.

Rashidi Chombo (Mr. Chombo): ohne Titel
Dass sie bereits Ausdruck von Entwurzelung sind, macht gerade ihre naive Darstellung von Natur und dem dörflichen Leben deutlich, denn erst wenn man dort nicht mehr ist, setzt eine romantisierende Erinnerung ein - auch als Reminiszenz an eine vergangene Identität. Attraktiv für ein Afrika aus der Sicht der überlegenen Weißen waren auch die dazugehörigen Geschichten - um so mehr, wenn es sich dabei um tribalistische Kulte und Rituale handelte wie im Bild von Peter M. Kawela: "Der Dämon hat das Kind gestohlen". 
 
Hashim Mruta Bushir (M.Ruta): ohne Titel
Hashim Mruta Bushir (1942 - 1998) war der Cousin von Tingatinga und kam aus dem gleichen Dorf wie er. Er arbeitete zunächst in der Landwirtschaft bei einer britischen Gesellschaft, ließ sich später als Polizist ausbilden und arbeitete viele Jahre in diesem Beruf. Er wurde erst Käufer von Tingatingas Bildern, bevor er selbst zum Künstler wurde und seinen Polizistenberuf schließlich ganz aufgab.

Mohamadi Wassia Charinda (geb. 1947) war der Neffe Tingatingas und kam ebenfalls aus dem Süden des Landes. Er arbeitete erst als Berufssoldat und fand später eine Anstellung als Mechaniker in einem Transportunternehmen von Dar es Salaam. 1975 wurde er von Hashim Mruta im Malen unterrichtet, 1989 führte er die Leinwand als Maluntergrund ein. Seine Themen sind stark von der Welt der Geister bestimmt, später malt er die "die Gedanken in den Köpfen der Menschen". Diese Originalität brachte ihn zu einiger Bekanntheit. Er gehört wie Lilinga zu den Künstlern, die auch über sein Land hinaus ausgestellt wurden - 1994 und 1999 in der Schweiz aus und im Jahr 2000 in La Réunuion.

Rashidi Chombo: ohne Titel
Rashidi Chombo (geb. 1964) ist der einzige der hier vorgestellten Künstler einer jüngeren Generation. Er ist der Neffe von Hashim Mruta Bushir und zog 1981 von seinem Dorf im Süden Tansanias nach Dar es Salaam. 1991 etablierte er seine eigene Quadratmalerei und zog mit seinem Verkaufsstand vor das Einkaufszentrum Slipway. Auch er verließ zuweilen die Vorgabe für das Quadrat und malte außerdem auch dekorativ abstrakte Bilder.

Untypisch ist der künstlerische Weg von George Lilanga (1934 - 2005) Er wurde an der Grenze zu Mosambik geboren, wo er bereits in den 60er Jahren zeichnete und  schnitzte.1972 ging er nach Dar es Salaam. 1980 wurde er dort durch das Kulturzentrum Haus der Kunst in seiner Ausbildung untersützt und war damit der erste professionell ausgebildete Künstler. Sein Kontakt mit den Tingatinga-Schülern 1980 brachte ihn zur Malerei, aber seine Themen - die Welt der Geister und Alltagsszenen und vor allem seine fast komikhafte Bildsprache - unterschied ihn bald radikal von den anderen Künstlern. Er wurde einer der bekanntesten Künstler Tansanias, weshalb er gerne als Tingatinga-Schüler vereinnahmt wird. Ihm wird nachgesagt, dass er eine regelrechte Manufaktur mit mehreren Angestellten und Verwandten am Laufen hielt, die seine bloßen Skizzen zu Ende führten.

Mohamadi Wassia Charinda: ohne Titel
Eine weitere Ausnahme bildet Damina Boniface K. Msagula (1939 - 2005) Er besuchte die Primarschule im Südosten Tansanias und war dort schon früh künstlerisch tätig, zunächst vor allem als Musiker. 1972 lernte er die Tingatingsa-Schüler kennen, als er vor dem Morogoro-Supermarkt Obst und Gemüse verkaufte. Das inspirierte ihn zur Malerei, aber nach einigen Jahren ging er seine eigenen Wege. Sein Stil unterschied sich sehr von den anderen. Auch stellte er seine Farben aus Wurzeln und Pflanzen selbst her.

D.B.K. Msagula: ohne Titel
Allen Künstlern gemeinsam ist ihre ländliche Herkunft. Die meisten von ihnen waren daher oft nur schlecht ausgebildet und als Künstler Autodidakten - mit Ausnahme von Lilinga. Sie sind - abgesehen von Rashidi Chombo - typische Vertreter der ersten Generationen nach der Unabhängigkeit in einem unterentwickelten Land. Ihre Chancen waren gering und sie arbeiteten hart in den verschiedenen Jobs, die für sie verfügbar waren. Die Ausstellung dokumentierte das ausführlich mit je einer eigenen Texttafel zu den einzelnen Künstlern und Werkgruppen. Ihre Malerei und der Verkauf ihrer Bilder waren für sie zweifellos eine Befreiung von ihrem physischen Joch. Sie erlernten daher ambitioniert die Kunst der Quadratmalerei mit ihrem überschaubaren Kodex und nahmen die existentielle Unsicherheit einer künstlerischen Existenz in Kauf so wie Tingatinga sie ihnen vorlebte.
Peter M. Kawela: ohne Titel
Mit ihnen gründete sich auch ein neuer Berufszweig heraus - den des freischaffenden Künstlers, was nur in den Städten überhaupt möglich war. Im ländlichen Afrika hatte Kunst in den 60er und 70er Jahre einen rituellen Hintergrund, die eine Initiation und eine langwierige autoritäre Ausbildung voraussetzte. Auch in diesem Sinne stellte diese Art der Kunstproduktion eine Befreiung dar. Sie waren außerdem die ersten Vertreter einer zeitgenössischen afrikanischen Kunst im Ausland, die - wie hier - zunächst überwiegend in den Völkerkundemuseen der ehemaligen Kolonialländer ausgestellt wurde - im Kontext mit den  kolonialen Raubzügen, den Masken und vielen anderen Ritualobjekten. Später kamen Sammler hinzu, die sich auf afrikanische Kunst spezialisierten und ihre Sammlungen in Galerien ausstellten, wie es u.a. bei Lilinga der Fall war.

Alle Fotos aus der Ausstellung von Uwe Kerkow


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen