Donnerstag, 19. September 2013

Ist politische Kunst möglich? (7) Ohnmacht, Terror, Langeweile - Teil 1 von 2

Ausstellungfoto: Ina Zeuch
Warum wurde Ohnmacht nicht schon längst als Thema für eine Ausstellung gewählt? Auch die These, dass Ohnmacht und Terrorismus zusammenhängen, trifft ins Zentrum vieler Fragen und Zweifel, die nicht nur politisch interessierte Menschen seit langem umtreiben dürfte. "Ohnmacht als Situation" hieß die Ausstellung im Frankfurter Kunstverein, die diesem Bedürfnis endlich nachkam. Die Schau, die Anfang August 2013 zu Ende ging, zeigte Werke von zwei Künstlerduos.
"Todos sois cupables salvo yo"
Direkt am Eingang der Ausstellung läuft man auf eine Attrappe zu, einer monumentalen Skulptur in nachgeahmtem Bronzeguss, die den Titel: "Alle sind schuldig ausser ich" trägt. Der Mann in sitzender Pose zeigt einen Sprengstoffgürtel unter seinem Jackett und wird hier zu einer Art 'Denkmal des unbekannten Selbstmordattentäters'. Der kurze Moment des Zündens vor der Sprengung wird hier eingefroren und in die Erscheinung eines Herrscher- oder Stifterdenkmals der verhassten bildungsbürgerlichen Klasse überführt.
Fraglich bleibt, ob ein Selbstmordattentäter sich selbst als unschuldig sieht. Reflektiert er überhaupt sein Handeln in den Kategorien der Schuld oder eher in narzisstischer Weise, weil er sich als reale Person - beleidigt durch die Verhältnisse, in denen er lebt - von sich selbst als Helden träumt?
Die Ritualisierung des Selbstmords als politischer Akt ist in dem preigekrönten Film "Paradise Now" von 2005 erhellend dargelegt. Man könnte im Sinne der Ausstellung die These aufstellen, dass die gegenwärtige Ohnmacht eines Subjekts - hier: dem Attentäter - mit dem zukünftigen Paradies als Belohnung für die Tat aufgehoben wird. Die noch verbleibende Lebenszeit bis zur Selbsttötung wird aufgeladen durch Bedeutung und tritt einem hier in erstarrter Pose gegenüber.
"Jesus", Aquarell nach einer Szene aus "Paradise Now"
Maria", Aquarell"
DEMOCRACIA nennt sich das spanische Künstlerduo Pablo Espana und Ivan Lopez, das für diese Ausstellung aufwändige Videos und Skulpturen in Frankfurt installierte. Im Gegensatz zum Selbsmordattentäter am Eingang werden im Basement der Ausstellungsräume die ephemeren Formen eines Leichentuchs eingefroren, mit dem hier ein Attentatsopfer der ETA zugedeckt ist - diesmal in .echtem, goldglänzendem Bronzeguß.
"Victima"
Da ist man schon mächtig eingestimmt auf das Thema Gewalt - hier konkretisiert als Aktionen von ohnmächtigen Einzeltätern, die gegen ein gut ausgerüstetes System antreten, dem sie nur Hass entgegenbringen, ohne an eine echte politische Partizipation zu glauben. Im ersten Stock verschiebt sich der Fokus etwas, wird dadurch aber noch makaberer. Ein Skater balanciert auf den nackten Körpern zweier gefesselter Figuren mit übergezogenen Kapuzen. Die Vorlage ist deutlich, Abu Graib lässt grüßen - im Hintergrund ein übergroßes Foto von einem Soldaten, der auf der Laderampe eines Militärlasters in seiner Freizeit zum Skater wird. Skateboardfahren und Parkour, der in dem Video "Ser y durar" von  fünf jungen Männern ausgeübt wird, werden hier als Trendsportarten zu bestimmenden Elementen. Sie sind männlich dominiert, ihre Mitglieder zwischen 18 und 25 Jahren alt, die spezielle Gruppenrituale pflegen, mit denen sie sich von den anderen abgrenzen, was offensichtlich die meisten gleichaltrigen Frauen davon  abhält, sich in dieser Szene zu verorten.
"Ser y Durar"
Denn auffallend ist, dass die meisten Jugendkulturen männlich dominiert sind und - wenn man den Interpretationen der Künstler folgt - fatal unpolitisch, an physischen Grenzen mehr interessiert als an intelektueller Durchdringung der eigenen Position. 'Just more sexy' ist es, als Skater kurz vorm Absprung aus einer instabilen Position heraus das Gleichgewicht zu wahren. Nur dass hier auf Menschen balanciert wird. Umso mehr Ohnmacht in Form von Gewalt in den asymmetrischen Kämpfen in der Welt zum Ausdruck kommt und umso mehr permanente Verfügbarkeit dieser Nachrichten von diesen Kämpfen via Internet, umso monströser muss sich die Ignoranz auswachsen, die das alles verdrängen hilft. Wohlstandskids suchen das Abenteuer, als Soldateneinsätze, in tumben Weltwärts-Programmen oder in einer bis in die Begrüßung durchgestalteten Jugendkultur, die ihre Energien ins Physische und in Abgrenzungsrituale verlagert.
"Democracia Memorial"
Das aufwändig gemachte Video "Ser y Durar" zeigt all dies am Beispiel des Parkoursports, der hier von fünf martialisch auftretenden Männern auf dem Gelände eines Madrider Friedhofs ausgeübt wird. Hier sind sowohl Opfer der ETA wie auch die ETA-Terroristen und kommunistische Widerstandskämpfer gegen das Franco-Regime beerdigt worden. Im dreigeteilten Video werden in drei großartigen Perspektiven die Stunts der Parkourläufer gezeigt. Sie springen über Gräber, landen kopfüber auf Grabskulpturen und springen im Salto über Mauern. Das alles ist kurzweilig und hochästethisch. Und klar, man versteht den Hinweis, dass eine schmerzliche Vergangenheit, die unverarbeitet natürlich in die Gegenwart weiterwirkt, nun zum kurzweiligen Parkourgelände wird. In der vergleichsweise kurzen Zeit seit der spanischen Diktatur wurden einstmals als terroristisch verfemte Verbrecher des ehemaligen Regimes zu Helden. Ob auch die Lebensläufe der heutigen Terroristen einmal eine Umwertung erfahren und sie ebenfalls zu Widerstandskämpfern ernannt werden?
"Ser y Durar"
Die Ambivalenz zwischen Neuanfang und der Last der Geschichte wird überdeutlich, wenn Gräber eingeblendet werden, deren Inschriften lesbar sind. Aber zu ausgearbeitet und bilderverliebt ist dieses Video und dürfte daher eher dazu geeignet sein, den Betrachter auf die hippe Seite des Lebens zu ziehen, als dass es Überlegungen zur Dialektik von Terror und Widerstand auslösen könnte. Die Installation zum Video besteht größtenteils aus dem recycelten Matrerial zum Film, Videostills und den roten Jacken der Parkourlaufer, die an der Wand hängen und aufwändig eingestickte Icons und Embleme zeigen, die auf die elaborierten Gruppencodes verweisen. Interessant sind dagegen die einzelnen Stilisierungen der Bewegungsfotos, die wie Plakate wirken und mit fetzigen Politaphorismen versehen sind.
Richtig verwirrend, aber umso spannender wird es in dem Video "Ne vous laissez pas consoler" (Lasst euch nicht trösten).  Zusammen mit dem Fußballfanclub von Bordeaux haben die beiden Künstler eine Ecke des Stadions besetzt. Eigens dafür hergestellte Fähnchen im blau-weißen Design des Fanclubs werden während eines wichtigen Endpspiels als vielgliedriges Banner mit Sprüchen wie "Wir lassen uns nicht rösten", "Die Wahrheit ist immer revolutionär" oder "Idole existieren nicht" hochgehalten. Mitten im hochemotionalen Treiben in den Fanrängen werden diese Botschaften unvermittelt präsentiert. So benutzen die Künstler das aufgepeitschte Szenario als Publikum für ihre politischen Botschaften. Das Video zeigt die irritierten Fans, die zwischen dem Lesen der Banner und dem Fußballgeschehen hin- und hergerissen sind, ganz wie die Betrachter des Videos - sofern man nicht brav schon vorher den Text im Begleitheft dazu gelesen hat.
"Ne vous laissons pas consoler"
Dieses Konzept, ein öffentliches Geschehen als Performanceraum umzufunktionieren, um sozusagen als Wolf im Schafspelz die eigenen Botschaften öffentlich zu machen, ist bereits von den Situationisten erfunden und als "theoretische und praktische Herstellung von Situationen" praktiziert worden. Ihr berühmtester Slogan war: "Unter dem Pflaster liegt der Strand". Provokationen wie die eines falschen Mönchs, der im Ostergottesdienst von Notre Dame 1950 den Tod Gottes verkündete und daraufhin fast gelyncht wurde, erinnert an Pussy Riot, die ebenfalls eine Kirche für ihre Botschaften gegen Putin nutzten und die zudem zeigen, wie Kunst tatsächlich noch ein ganz und gar unkünstlerisches Publikum bis in die Ränge der Macht zu bewegen weiß - mit den entsprechend schmerzlichen Konsequenzen für die Künstler.
"FCGB Merchandising Stall"

Aquarelle und alle Fotos von Ina Zeuch

Fortsetzung folgt

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