Sonntag, 12. Dezember 2010

Ist politische Kunst möglich? (1)

Marc Boulos und Renzo Martens


Die Videoarbeiten "All that is solid melts into the air" von Marc Boulos und "Enjoy poverty" von Renzo Martens waren auf der letzten Berlin Biennale im Sommer 2010 zu sehen.Sie zeigen zwei äußerst engagierte Künstler, die die Recherchen für ihre Arbeit mit hohem Einsatz und Risiko in zwei wenig attraktiven Ländern entwickelt haben: Marc Boulos in Nigeria, Renzo Martens im Kriegsland DR Kongo. Beide beziehen politisch eindeutig Stellung.


Marc Boulos setzt die Interviews von Menschen und Bildern der alles vergiftenden Gasabfackelung im Nigerdelta mit Bildern von Maklern an der Chicagoer Stocking Börse gegenüber. In diesem filmischen Diptychon sieht man sich der dramatischen Zerstörung von Natur und Lebensraum der dort lebenden Menschen ausgesetzt, die mit schreienden, um Profit heischenden Aktienhändlern an der Börse konterkariert wird. Das Stichwort Profit, wer ihn macht, in welch schwindelnde Höhen dieser Profit emporträgt und wer auf der anderen Seite der Welt niemals eine Entschädigung bekommt - ganz zu schweigen von einem Anteil an diesen immensen Profiten- durchzieht diese Arbeit wie einen roten Faden. Die enorme emotionale Anstrengung, die sowohl den Betroffenen in Nigeria als auch den Börsianern eigen ist, zeigt eine merkwürdige Konvergenz im Ausdruck.


Ähnlich deutlich, aber viel komplexer und weitaus widersprüchlicher zeigt auch Renzo Martens, für wen sein Herz schlägt. Er durchreist den ärmsten und ausgebeutetsten Teil der Rebulik Kongo mit dem Leuchtschriftzug "Enjoy Poverty", den er schließlich unter reger Anteilnahme der Bevölkerung auf ein Gerüst aufbringt und in einem Dorf ohne Elektrizität mittels eines Generators zum Leuchten bringt. Die Menschen feiern dies in einer trunkenen Party wie eine Befreiung, als könnte Armut tatsächlich genießbar werden. Aber man ahnt, dass sie in diesem Moment ein besseres Leben nicht nur erhoffen. Sie halten es sogar für möglich.

In kleinen Lektionen vermittelt Martens den Menschen den Hintergrund seiner zunächst zynisch wirkenden Botschaft "Enjoy Poverty": Ihre Armut dient als eine Ressource, die andere zu Geld machen - einerseits von den Global Players, die Koltan-, Diamanten- und Goldvorkommen mit  billiger Arbeitskraft ausbeuten, aber Armut ist  auch eine Ressource für die Journalisten - vor allem für die Bildjournalisten - die das Elend der Menschen, die unter schweren Gesundheitsschädigungen und bitterster Armut in den Bergwerken und Minen arbeiten, ablichten und sich damit einen erklecklichen Lebensunterhalt verdienen. Martens geht sogar so weit, drei lokale Fotografen dazu zu bringen, selber sterbende Kinder und ausgezehrte Arbeiter abzulichten, statt ihr Brot mühselig mit Hocheits- und Porträtfotos zu bestreiten. Er versucht sogar, mit ihnen diese Fotos zu verkaufen. Das kann nur scheitern, da die kongolesischen Fotografen das Elend weder marktgerecht - für den Appetit der westlichen Medien - technisch perfekt ins Bild zu setzen verstehen noch ihnen jemals der Zugang zum begehrten Markt zuteil wird.


Und hier kippt die Geschichte: Die Begegnungen mit "Ärzte ohne Grenzen" mit ihren hauseigenen Fotografen  oder Weltbankfunktionären sind eine harsche Lektion, die nun auch Martens lernen muss. Die drei Fotografen werden von Martens mit dem bitteren Trost entlassen, dass sie ja weiterhin ihr Auskommen mit Familienfotos bestreiten können, ihre Träume von einem besseren Leben aber nicht in Erfüllung gehen werden. Nur der unglaublich zivilisierten und friedfertigen Haltung der Kongolesen, die Martens in seine Aktivitäten verstrickt hat, ist es zu verdanken, dass dieser schmerzliche Reinfall und das gefährliche Heraufbeschwören von einer gerechteren Welt, in der die Afrikaner nicht die von aller Welt abgelichteten Opfer sind, vergleichweise versöhnlich zu Ende geht. Wehmütig und reichlich verwirrt werden sie von einem Künstler zurück gelassen, der genau wie alle anderen seine eigene Geschichte herausgeholt und es doch anders gemeint hat. Diese Arbeit verleugnet weder ihre Widersprüche, noch ihr Scheitern und die Ambivalenz, das man wider Willen selber auch nur zu den Arschlöchern gehört.

So sehr Boulos bildgewaltiges Opus aus dem Nigerdelta und Chicago aus einem Guß ist, so viele Brüche weist der Film von Martens auf und ist darum die viel relevantere Arbeit. Kein richtiges Leben im Falschen und nicht Neues unter der Sonne, aber ein beeindruckender Film über eine naive Annäherung eines gar nicht naiven Traumes von Gerechtigkeit.

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